Frankfurter Neuen Presse
17.09.2009

Interview: Abenteuer "Junge Zeitung"

Nach der äußerst erfolgreichen Premiere zum „Weltkindertag“ im vergangenen Jahr, hat die Frankfurter Neue Presse mit ihren Regionalausgaben Taunus Zeitung, Höchster Kreisblatt und Nassauische Neue Presse, zum zweiten Mal das bundesweit einmalige „Projekt Junge Zeitung“ veranstaltet. Über 200 Schülerinnen und Schüler aus Frankfurter Gymnasien und dem gesamten Rhein-Main-Gebiet waren eingeladen, eine komplette Ausgabe der Zeitung von der ersten bis zur letzten Seite zu erstellen. Die Schüler begleiteten ein halbes Jahr die Profis im Redaktionsalltag, entwarfen eigene Ideen, verfassten Artikel und entwickelten das Layout völlig in eigener Hand. Erscheinungsdatum der Zeitung unter dem Motto „Zukunft“ war der 12. September 2009. Dazu führten wir ein Interview mit Rainer M. Gefeller, Chefredakteur der Frankfurter Neuen Presse, und Jörg Mattutat, Geschäftsführer der Anzeigenabteilung.

Was steckt hinter der Idee, junge Leute Zeitung machen zu lassen?

Gefeller: Einmal ist es Abenteuerlust. Viele Zeitungen bieten Kindern und Jugendlichen ghettoartige Geschichten. Manchmal lassen sie einzelne Aufsätze schreiben. Oder bieten ihnen Sonderseiten an, auf denen sie sich informieren oder auch unterhalten sollen. Ich wollte einfach auch mal mutiger sein und den jungen Leuten gerechter werden. Es ist eine der tollsten Zeitungen, eine der spannendsten Zeitungen, die wir auf den Markt gebracht haben. Mit einem sehr hohen Aufmerksamkeitswert für viele. Und die jungen Leute gehen unbekümmerter an die Dinge heran und nicht mit diesen professionellen Beschränkungen, denen wir oft unterliegen. Sie haben auch den Klugen in der Redaktion den Blick geweitet und gezeigt, was noch alles möglich ist, um Gesellschaft wirklich abzubilden in einer Zeitung.

Wie kann man sich die Zusammenarbeit zwischen den jungen Leuten und den Profis vorstellen. Sind Ihre Redakteure jetzt arbeitslos?

Gefeller: Im Gegenteil. Es verursacht ja erst einmal Mehrarbeit. Gleichzeitig: Das, was wir im letzten Jahr im Umgang mit den Schülern gelernt haben, konnten wir dieses mal wieder anwenden. Insofern lief es schon entspannter als es im letzten Jahr, als es eine echte Pioniertat war und erstmals in Deutschland in diesem Umfang stattfand. In der diesjährigen Ausgabe kommt eine ehrgeizige Themensetzung hinzu, indem wir das Ganze unter das Thema „Zukunft“ gestellt haben, sowohl unter persönlichen als auch politischen, ökologischen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Wie groß ist das Interesse der Anzeigenkunden an diesem Projekt?

Mattutat: Überwältigend. Im letzten Jahr haben wir nach der ersten Ausgabe so viel Zustimmung und Anfragen für Kooperationen erhalten, dass wir dies im aktuellen Projekt berücksichtigt und zahlreiche Kunden in Verlagskooperationen eingebunden haben. Die Zustimmung geht quer durch alle Branchen. Im laufenden Projekt sind insgesamt zehn Kunden dabei – vom Möbeleinzelhändler über Einkaufszentren, Bankinstitute, Energieversorger bis zum Personaldienstleister. Sehr viele Gruppen zeigen Interesse, sich da aktiv zu beteiligen und einzubringen.

Worauf ist die Zustimmung von Anzeigenkunden zurückzuführen?

Mattutat: Unseren Kunden und auch deren Werbeagenturen gefällt besonders der Ansatz, junge Leute auf kreative Weise an den Zeitungsjournalismus und das Produkt Zeitung heranzuführen. Sie verbinden ihre Marke oder ihre Dienstleistung gerne mit diesem Projekt.
Das Thema „Zukunft“ und das Konzept, über einen Zeitraum von einem halben Jahr in zahlreichen gestreuten Artikeln immer wieder in unseren Zeitungen präsent zu sein und zum Schluss eine eigene Werbebotschaft in die Junge Zeitung prominent platzieren zu können, das kam einfach gut an.

Jungen Nachwuchs unter den Lesern – das wünschen sich alle Verlage. Könnten solche Groß-Projekte der neue Königsweg sein, um die Leser-Blatt-Bindung zu erhöhen und sogar neue junge Leser zu gewinnen?

Mattutat: Ja. Ich erinnere mich noch an unsere Sorge, ob wir mit der Jungen Zeitung in eher konservativen Leserschaften auch Ressentiments hätten wecken können. Das ist gar nicht eingetreten. Es waren verschwindend wenige, die es kritisiert haben. Es gab eher den Effekt, dass die jungen Leute nicht nur ihre Eltern, sondern auch ihre Großeltern in dieses Projekt einbezogen haben. Letztlich haben die vielen anderen Leserinnen und Leser das zu einem überwiegenden Anteil positiv begleitet. Dennoch ist es ein Mosaikstein in einem Komplettbild von Maßnahmen, die notwendig sind, um insgesamt für junge Leute attraktiv zu sein und attraktiver zu werden. Es ist auf jeden Fall ein wertvoller Beitrag, um für junge Leserschaften relevanter und interessanter zu sein.

Gefeller: Es ist auch ein Beitrag, um das Image einer Tageszeitung zu entstauben. Solche Sonderaktionen – es ist ja nur eine von vielen – tragen dazu bei, dass die Leute überrascht werden und sagen: Ach, so was kann eine Zeitung auch! Man darf nicht andauernd aus den Alltagsstrukturen ausbrechen, aber hin und wieder schon, weil die Leser auch überrascht werden wollen – wenn die Überraschung Qualität hat, das ist immer die Voraussetzung.

Untersuchungen zeigen, dass junge Leute bekanntlich die Zeitung als ein Medium der Erwachsenen ansehen und sich deswegen nicht mehr dafür interessieren. Stimmt es, dass Print-Publikationen die Jugend schon verloren haben?

Mattutat: Sicher nicht. Wenn wir allein in die einschlägigen Marktforschungsuntersuchungen reinschauen, kriegen wir nach wie vor attestiert, dass fast die Hälfte der jungen Leute, die älter als 14 Jahre sind, Zeitung lesen. Sehr oft im eigenen Haushalt. Es gibt ganz sicher keine Abneigung gegenüber Zeitung, sondern eher einen vielleicht etwas lockeren, aber doch regelmäßigen Umgang mit dem Medium Zeitung. Kein anderes Medium, keine andere Gattung kann eine so hohe Resonanz vorweisen.

Gefeller: Ich glaube, dass in den letzten Jahren hier genau dieser falsche und fatale Eindruck entstanden ist, als wäre die Zeitung ein Medium von gestern. Das einzige Zukunftsmedium sei das Internet, und die begleitenden, wie Twitter und ähnliches. Das ist falsch. Es ist an den Zeitungen und den Verlagen, diesen Eindruck machtvoll zu korrigieren, in die Offensive zu gehen, und zu sagen: Zeitungen sind sehr wohl zukunftsfähig, so lange sie bei ihren Essentials bleiben, so lange sie die kompetenten, seriösen und glaubwürdigen Medien bleiben, die sie sind.

Zeitung hat also den jugendlichen Lesern etwas zu bieten. Man muss sie nur darauf stoßen, dass sie das Angebot wahrnehmen?

Gefeller: Vieles, was Verlage heute unternehmen, wie „Zeitung in der Schule“, hat damit zu tun, dass auch die Jugendlichen erreicht werden sollen, die durch ihre familiäre Situation und ihre Sozialisation keine Chance haben, an die Zeitung heranzukommen. Ich will mir dazu eine persönliche Bemerkung erlauben: Als ich 16 oder 17 Jahre war, habe ich auch keine Zeitung gelesen. Ich halte diesen Hype, der da heute entsteht – jeder 16-Jährige, der nicht Zeitung liest, ist ein Beleg dafür, dass die Zeitung am Ende ist – einfach für Quatsch. Wir haben uns da von diesen flirrenden Werbebotschaften der Internetbranche zu sehr in die Defensive drängen lassen. Und es ist Zeit, dass wir damit Schluss machen!